Dienstag, 17. Juni 2014

Kill Your Darlings

Wenn ich über Spieledesign rede oder schreibe, bekomme ich gelegentlich von Lesern zu hören, dass sie als Klein-Autoren literarischer Werke ähnliche Verfahren anwenden, wie von mir beschrieben. Und das sollte kaum verwundern, denn Geschichten, egal in welchem Medium, sind nach wie vor Geschichten. Entsprechend verwenden auch wir in DER KONFI (Eigenname) literarische Begriffe und Ansätze, um konstruktive Diskussionen zu führen und fundierte Kritik zu äußern.
Die genaue Ausführung einer spielerischer Erzählung, ist freilich etwas anders als in der Literatur und manche Aspekte spielen somit gar nicht erst ins Medium des Anderen hinein. So profitieren Spiele von Bild-, und Ton-Unterstützung. Bei Spielen muss man sich auch weniger Gedanken um Zeitformen oder die erzählerische Perspektive machen, denn die ist in der Regel immer identisch und aufgrund des grundlegendes Erzählstils leichter einzuhalten. Man muss also kein erfolgreicher Autor sein, um sein Spiel erstellen zu können, sondern ist eher angeraten ein paar Konzepte aus der Literatur zu recherchieren, um sie an die Anforderungen seines Games anzupassen.

Eines dieser Konzepte nennt sich "Kill Your Darlings", zu deutsch "Töte deine Lieblinge". Dieser Ansatz ist vor allen Dingen für Videospiele besonders geeignet, da er sich auf viele weitere Facetten des Projektes erweitern lässt, falls erforderlich. Vorrangig findet es aber seinen Platz im erzählerischen Aspekt. Aber was bedeutet nun "Kill Your Darlings"?

Ich muss gestehen, dass es für Videospiele eine andere, breiter gefächerte Bedeutung besitzt (mehr Möglichkeiten im digitalen Medium) als im Original. Im Wesentlichen geht es darum, erzählerische Konzepte, Charaktere, charakterliche Eigenheiten, spielerische Features, erzählerische Stile ... jedenfalls unnötige störende Ansätze im Vorfeld zu erkennen und zu eliminieren, noch bevor sie es ins Spiel schaffen - also noch innerhalb der eigentlichen Entwurfsphase. "Kill Your Darlings" bezieht sich hierbei aber auf die besondere Problemstellung, über seinen eigenen Schatten zu springen und liebgewonnene Ideen zu verwerfen, die offensichtlich dem Projekt schaden.

Diese liebgewonnenen Elemente (vor allen Dingen Charaktere) schaden deshalb, weil sie zwar für den Autoren eine besondere persönliche Bedeutung besitzen, aber der Spieler/Leser keinen Kontext herstellen kann und eher mit den Augen rollt (grob übersetzt aus dem Urban Dictionary). Das geschieht unter Anderem deswegen, weil die Interpretation des Autors in die Figur weit komplexer und tiefer ist, als er es darstellt. Und stellt er es doch dar, wirkt die Figur langweilig, weil in dem Fall noch deutlicher zu bemerken ist, dass die Figur ihre Rolle nur hat, weil sie der persönliche Liebling des Autors ist. Das merkt man vielleicht auch als Autor daran, dass es z.B. immer nur um die selbe Figur geht.

 Natürlich ist dieser Störfaktor, wie bereits beschrieben, auch auf besondere charakterliche Eigenheiten anzuwenden. Beispielsweise, wenn eine Figur ständig Schimpfworte über eine andere Figur vor sich hindenkt. Das macht keinen Spaß, ist nicht lustig, nervt und die Charakteristika ist sicherlich auch über alternative nachvollziehbare Methoden beschreibbar. Oder halt: Let it go, entferne die Eigenheit komplett.

Besonders oft sehe ich den Ansatz von "Kill Your Darlings" in frühen Entwurfsphasen, wenn es darum geht zu bestimmen, worum es überhaupt gehen soll. Darunter fällt auch das Worldbuilding, Zusammenhänge innerhalb der Welt, die Überlegung wie die Welt mit dem zukünftigen Gameplay zusammenpassen könnte. Dabei können viele Ideen fallen und auch einige echt gute Ansätze, die man nur sehr ungerne loslassen möchte. Früher oder später stellen sich jedoch andere Ideen ein, die für das Spiel optimal sind und nicht mit vorherigen Konzepten harmonieren oder es haben sich alternative, bessere Ansätze eingestellt. Dann wird es Zeit sich von der alten liebgewonnenen Idee zu verabschieden. Kill it.
Das Gleiche gilt auch für bestehende Elemente/Charaktere in schon fortgeschrittenen Spielen, wobei die Umstellung noch viel schwieriger ist, da sie mit viel Arbeit verbunden ist.

Was ist "Kill Your Darlings" aber nicht?

Bedeutet es, dass man alles entfernen sollte, was man mag? Nein, das ist nicht, was mit "Darlings" gemeint ist. Es existiert noch eine alternative Formulierung: "Kill Your Babies". Also dein Knuffelchen, dein Schnutziputzi, dein Knuffelspätzchen. Ich denke damit ist der Begriff geklärt.

Heißt das aber, dass ich mein Knuffelspätzchen während des Abenteuers umbringen oder ganz besonders leiden lassen soll? Nein. Es geht um das Konzept der Figur selbst, dass sie grauenvoll und "perfekt" geschrieben ist. Hier und da kleine Charakterfehler einstreuen, die nie wirklich Relevanz besitzen, helfen der Sache nicht. "Knuffelspätzchen" können natürlich nicht nur Figuren sein, sondern alle denkbaren Elemente deines Spiels.

Wenn dir bestimmte Dinge eines Konzeptes, Charakters, Features (etc) aus argumentierten Gründen ganz besonders gut gefallen, dann nimm dir dieses bisschen Elfenstaub und werfe den Rest in die Tonne. Gute Autoren und Geschichtenerzähler, nehmen sich die besten Bissen ihrer alten Konzepte mit - sofern etwas davon übrig bleibt - und verpacken diesen völlig neu. Schlechte Konzepte zu verwerfen, ist kein Rückschritt.

Das waren meine heutigen Gedanken.

[MG]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.